Grenz-Echo, 24 Februar 2012
Sandrine Mathen: »Es gibt unter den spirituellen Führern die unterschiedlichsten Profile«
Spirituelle Scharlatane oder heilende Helfer?

Sandrine Mathen

Der Grat zwischen seriösem Angebot und unredlicher Abzocke ist in der esoterischen Alternativmedizin manchmal ganz schmal.
Von Nathalie Wimmer
Besonders im breiten Feld der Heilkunde besteht die Gefahr, an Quacksalber und Bauernfänger zu geraten. Wundermassage oder Zauberelixier: Die Angebotspalette ist enorm, aber nicht immer unbedingt schädlich. Wann sollten die Alarmglocken schrillen? Über dieses Thema sprach das Grenz-Echo mit Sandrine Mathen vom Informations- und Beratungszentrum über schädliche Sektenorganisationen (Ciaosn).
»Oft sind die Menschen, die sich an spirituelle Heiler wenden, enttäuscht worden von der klassischen Medizin. Diese konnte nicht immer die erwünschten Heilungsresultate erbringen. Sie suchen hoffnungsvoll nach Alternativen. Solange die traditionelle Medizin bei schwerwiegenden Krankheiten nicht komplett ausgeschlossen wird, ist die Hinwendung zum Spirituellen unproblematisch. Für manche Personen kann sie sogar hilfreich sein«, erklärt Sandrine Mathen. Die Psychologin betont allerdings, dass es immer auf die Art der Krankheit ankommt: Kleine Gebrechen und Beschwerden über die esoterische Schiene zu behandeln, sei etwas ganz anderes, als sich beispielsweise bei Krebs, Aids oder Mukoviszidose einzig auf die Alternativmedizin zu verlassen. Genau in diesem Bereich, werden die Mitarbeiter des Zentrums oft aktiv. Sie werden aufmerksam, wenn die angepriesene Therapie auf ihre Ausschließlichkeit pocht und sich sogar an eine gefährliche Symptomatik wagt.
Missbrauch
Im Auftrag von Polizei, Behörden oder der Öffentlichkeit wird dann Recherche- und Informationsarbeit über den Anbieter des spirituellen Heilversprechens geleistet. »Besonders im Gesundheitssektor sind wir sehr aufmerksam, denn hier wird viel Schindluder getrieben. Das kann manchmal sogar ein sehr gefährliches Ausmaß annehmen. Es werden Versprechen gegeben, die weit über spirituelle Heilung hinausgehen und in die physische Therapie hineingreifen. Dabei wird nicht selten auf die Hilfe von außerirdischen Wesen oder kosmischen Entitäten zurückgegriffen. Die Gesundheitspraktiken dieser Gruppen basieren oft auf kaum anerkannten Heilsoffenbarungen und übernatürlichen Kräften.« Die Behandlungsmethoden seien in solchen Fällen nicht wirksamer als die Einnahme eines Placebos. Bei ernsten Krankheiten können durch den Verzicht auf konventionellen Behandlungsmethoden dramatische Konsequenzen entstehen, so die Warnung der Expertin. Sandrine Mathen betont, dass sie nicht die Alternativmedizin als solche kritisiere, sondern nur ihren Missbrauch. Vielen Menschen könne die seriöse alternative Medizin in Form von Massagen oder Meditation als Begleitung bei der Chemotherapie beispielsweise helfen. Wenn die Taten oder Standpunkte der Anbieter allerdings nicht übereinstimmen mit den belgischen Gesetzen zur Heilkunst und die selbsternannten Heiler sich auf verbotenem Terrain bewegen, kann auch gerichtlich gegen sie vorgegangen werden. Das Urteil gegen einen 57-jährigen Psychotherapeuten aus St.Vith ist einer der letzten Fälle, der hierzulande große Aufmerksamkeit erregte. Der Verurteilte hatte sich der »Neuen Germanischen Medizin« bzw. der »Biologie Totale« (Biologisches Dekodieren) verschrieben. Sandrine Mathen hat den Prozess mitverfolgt und charakterisiert diese Methode folgendermaßen: »Die Methode präsentiert sich als Psychotherapie, die besagt, dass jede Krankheit durch einen seelischen Konflikt ausgelöst wird, der vor Ausbruch der Krankheit stattfand. Durch die Lösung des Konflikts soll die Krankheit verschwinden. Eine Abwendung von der klassischen Medizin wird hier propagiert und das macht den Ansatz gefährlich.«
Die 37-Jährige geht davon aus, dass dies in Belgien nicht der letzte aufsehenerregende Gerichtsprozess dieser Art sein wird. Das Thema Gesundheit und Wohlergehen ist momentan im Aufwärtstrend und mit ihm die breite Palette an nicht-wissenschaftlichen, unredlichen Heilverfahren.
Offene Augen
Die Motivation der Heiler ist dabei vielfältig: »Es gibt unter den spirituellen Führern die unterschiedlichsten Profile. Einige - selbst diese, die einen Kontakt zu universellen Entitäten oder Außerirdischen haben - sind überzeugt von ihrer Lehre und wollen den Mitmenschen wirklich helfen. Dann gibt es andere, die nur auf eine gewinnbringende Therapie setzen, ohne selber daran zu glauben. Manchmal kommt es auch im Laufe der Zeit zu einem Machtmissbrauch. Der Einfluss und die Kontrolle, die die Heiler über Menschen, deren Gesundheit und deren Geld haben, können verführerisch wirken.« Daher sollte man offenen Auges durch die Welt gehen, rät die Expertin.
© Grenz-Echo 2012
»Eigentlich könnte jeder diese Arbeit machen«
Ciaosn betreibt Detektivarbeit auf Anfrage
Das Informations- und Beratungszentrum über schädliche Sektenorganisationen (Ciaosn) arbeitet hauptsächlich auf Anfrage. Nicht nur Behörden können sich an die Forscher wenden, auch Privatpersonen, die unsicher sind und Klarheit über einen therapeutischen Ansatz oder einen spirituellen Anbieter wollen, können um Auskunft bitten.
Recherchearbeit
Die Mitarbeiter des Zentrums betreiben die Recherchearbeit anhand von öffentlichen Dokumenten. Natürlich spielt auch das Internet dabei eine große Rolle. »Eigentlich könnte jeder diese Arbeit machen. Allerdings fehlt es den meisten an Zeit und Geld, um die Dokumente und Bücher anzuschaffen. Außerdem haben wir uns im Laufe der Zeit natürlich ein gewisses Know-how angeeignet. Wir wissen, worauf es zu achten gilt, und wo man suchen muss«, so Sandrine Mathen. Die investigative Detektivarbeit wird vom Schreibtisch aus und auf dem Terrain betrieben. Die Kollegen von Sandrine Mathen kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen: Es arbeiten Juristen, Anthropologen, Kriminologen und andere Geisteswissenschaftler mit ihr in Brüssel.
In Bezug auf die Notwendigkeit der spirituellen Heilkunst oder der Alternativmedizin bezieht Sandrine Mathen keine Position. »Wir beurteilen die Menschen, die auf alternative Medizin oder spirituelle Methoden setzen, nicht. Diese Ansätze können sogar hilfreich für die Patienten sein, solange sie nicht exklusiv angewandt werden. Es muss immer noch den Zugang zur traditionellen Medizin geben. Homöopathie, Massage, Meditation oder Akupunktur können beispielsweise bei der Behandlung von Krebs begleiten und erleichtern. Letztendlich können sie in solchen Fällen nicht nur helfen, den psychischen Zustand zu verbessern, sondern dadurch auch entscheidend zum Heilungsprozess beitragen.«
Ciaosn, Informations- und
Beratungszentrum über
schädliche Sektenorganisationen
Rue Haute 139,
1000 BRUXELLES
Tel.: 02/ 5049168
info@ciaosn.be
www.ciaosn.be
© Grenz-Echo 2012
Expertin Sandrine Mathen schätzt die Heilmethode ein, die der Maldinger André Gillessen lehrt - »Bei Krankheit ist Vorsicht geboten«
Cantor Holistic Touch: »Bei gesunden Personen eher harmlos«

André Gillessen ist als spiritueller Heiler aktiv.
Vor einiger Zeit stellte das Grenz-Echo André Gillessen vor. Der Maldinger hat sich zum spirituellen Heiler ausbilden lassen. Cantor Holistic Touch (CHT) heißt die Therapiemethode, die er anbietet. Erboste Leser meldeten sich nach dem Artikel zu Wort. Von »Blödsinn« und »Betrügerei« war die Rede. Das Grenz-Echo bat Sandrine Mathen vom »Informations- und Beratungszentrum über schädliche Sektenorganisationen« (Ciaosn) um eine Einschätzung:
Was ist Ihnen bei der Recherche zu der Heilmethode Cantor Holistic Touch aufgefallen?
Es handelt sich um eine Methode, bei der auf das so genannte Channeling, die Kanalisation, zurückgegriffen wird. Das ist eine Art des Spiritismus - nicht mit Toten, sondern mit einer universellen Entität. Eine Frage, die unbeantwortet bleibt, ist, bis wo die »Macht« dieser Heilmethode geht. Gibt die Methode Heilversprechen bei wirklich schlimmen Krankheiten wie Krebs? Eine zweite Frage ist, ob eine Abkehr von der Allgemeinmedizin propagiert wird. Auf der Website der Begründer steht explizit, dass dies nicht der Fall ist. Ob diese Aussage mit der Wirklichkeit übereinstimmt, müsste auf dem Terrain überprüft werden. Es wird außerdem auf der Site beschrieben, dass CHT einen Einfluss auf die Zellen und Organe haben kann. Das ist also ein Übergang vom Spirituellen ins Physische. Auch hier müsste weiter ermittelt werden, um zu sehen, was genau gemeint ist und inwiefern ein Missbrauch stattfindet.
Der deutsche Staat unterstützt und fördert die Massageausbildung. Wie sehen Sie das?
Vielleicht gibt es in Deutschland eine offenere Politik, was diese Domaine des Gesundheitswesens angeht.
Was würden Sie raten, wenn jemand fragt, ob man diese spirituelle Heilmethode unbeschadet nutzen kann?
Ich würde zu Vorsicht aufrufen, was die Gesundheitsversprechen angeht. Solange die Person, die sich mit Cantor Holistic Touch behandeln lässt, nicht ernsthaft krank ist, würde ich mir dennoch keine Sorgen machen. Das Ganze scheint eher harmlos zu sein. Wenn jemand an einer Krankheit leidet, scheint mir hier aber Vorsicht geboten. Allerdings sage ich das nur nach einer ersten schnellen Analyse. Um weite Informationen zu erlangen, müsste man eine tiefere Recherche angehen. Bisher sind uns aber noch keine Klagen zu Ohren gekommen, was ein positives Zeichen ist.
© Grenz-Echo 2012 (Grenz-Echo P.10 in pdf - 3.28Mo)