Grenz-Echo, 10 Juni 2013
Aufbruch zur Achtsamkeit
Von Nathalie Wimmer
Nadia Pommée aus Eupen hat sich auf eine weite Reise begeben - nicht in Kilometern gemessen, sondern auf spiritueller Ebene. Sie verbrachte sieben Tage der Meditation in einem buddhistischen Kloster in Bordeaux bei dem 87-jährigen vietnamesischen Mönch Thich Nhat Hanh. Ihr Urteil: „Zehn Jahre Psychotherapie gepackt in einer Woche.“

Das Leben zu entschleunigen und zur Ruhe kommen. Das war das Ziel der Eupenerin Nadia Pommée. In einem buddhistischen Kloster in Frankreich, dem „Plum Village“, ist es ihr gelungen.
Obwohl Nadia Pommée christlich erzogen wurde, hat die Philosophie des Buddhismus sie schon immer fasziniert. Dass sie aber einmal eine ganze Woche in einem buddhistischen Kloster verbringen würde, das hätte sie sich wohl noch vor einigen Jahren nicht vorstellen können. Erst nach einem schmerzhaften Verlust im Familienkreis reifte in ihr der Entschluss heran. „Ich hatte mir fest vorgenommen, mich ganz einzulassen auf die völlig neue Erfahrung, eine Woche in einer Klostergemeinschaft zu verbringen. Das sollte eine Woche sein, um mein Leben zu entschleunigen und um zur Ruhe zu kommen“, so der Vorsatz. Selbst das gutmütige Gehänsel oder die ängstlichen Sorgen der Angehörigen konnten sie nicht davon abbringen. Viele Fragen ganz konkreter Natur drängten sich ihr allerdings vor dem Start ins Abenteuer auf: Wie wird die Schlafstätte sein? Werde ich von dem veganen Essen auch wirklich satt?

Die Klostergemeinschaft lebt in einem Kloster. Schweigen und Meditieren gehören hier zum Alltag. Mehrmals am Tag wird eine Glocke geläutet (Foto rechts). Wenn sie erklingt, soll jeder innehalten und sich selber befragen: Bin ich auf dem richtigen Weg? Lebe ich gerade den Moment oder schweifen meine Gedanken ab?
Einmal in „Plum Village“ angekommen musste sie sich aber erst mal ganz anderen Dingen stellen. In kleine Gruppen aufgeteilt, mussten die rund 400 Teilnehmer aus der Schweiz, Spanien, Belgien, USA und Frankreich eine Woche lang einen bestimmten Haushaltsdienst übernehmen. „Arbeitsmeditation“ lautete die nette Umschreibung der Nonnen für Gemüseschnibbeln oder Spülen. Nadia Pommée wurde zum Toilettendienst verdonnert. Das hatte sie sich anders vorgestellt. „Ich war echt geschockt. Toiletten putzen zu Hause für meine Familie ist ja noch so gerade in Ordnung. Aber die Toiletten, die 200 fremde Personen benutzen, zu putzen, fand ich jetzt echt ekelig. Aber ich hatte mir ja geschworen, mich voll und ganz einzulassen. Und im Nachhinein erwies sich das Toilettenputzen in Stille und Achtsamkeit als eine wirklich schöne Übung.“ Abgesehen vom Klodienst gab es auch noch so manche andere Überraschung für die 46-jährige Eupenerin - beispielsweise, was die Mahlzeiten anging. Die anfänglichen Befürchtungen, die veganen Speisen würden nicht ausreichen, bewahrheiteten sich nicht. Aber die Mahlzeitsrituale der Klostergemeinschaft waren gewöhnungsbedürftig. „Essen ist und war für mich immer schon ein wichtiges Thema. Als vierte von fünf Geschwistern habe ich irgendwie immer schon das Gefühl gehabt, ich komme zu kurz. So machte ich mir dann am ersten Abend meine Schüssel als eine der ersten randvoll. Kaum saß ich auf meinem Kissen, fing ich an zu essen. Eine Nonne belehrte mich dann eines Besseren: Es wird erst gegessen, wenn alle bedient sind“, erzählt die zweifache Mutter rückblickend. Ihre Frustration sei groß gewesen. Das Essen wurde kalt. Die anfängliche Wut machte dann aber einer kritischen Selbstbetrachtung Platz. Wie oft warten wir zu Hause nicht, bis alle am Tisch sitzen? Wie oft esse ich achtlos, schnell und lese Zeitung nebenher? Im Kloster war das nun anders. In Stille wurde die Mahlzeit verzehrt. Was anfangs nur der Quell für Ärger war, wurde so zu einer angenehmen Übung der Selbstreflexion. Genau wie bei den täglichen Meditationen ging es darum, zu lernen, den Blick nach innen zu richten. Eine Auseinandersetzung mit dem Ich. Das Kernthema des buddhistischen Meisters Thich Nhat Hanh war dabei das Leid. „ Jeder Mensch leidet, aber Leid ist heilbar“, so der erste Satz, den er an seine Adepten richtete. Es seien Gefühle wie Trauer, Angst, Wut oder Verlangen, die das Leid hervorrufen würden, erklärte der Poet und Friedensstifter. „Wenn wir unser Leid mit Achtsamkeit umarmen, wie eine Mutter ihr Kind im Arm hält, es wiegen und trösten, so wird das Leiden leichter“, lautet seine Botschaft. Um achtsam und bewusst im Hier und Jetzt leben zu können, sei es wichtig innezuhalten und tief zu schauen. Oft sei man gefangen in den Ereignissen der Vergangenheit oder in den Sorgen um die Zukunft. So verpasse man das Wichtigste: Das Jetzt mit all seiner Schönheit. Dem war Nadia Pommée in Frankreich auf der Spur. Auch die Umgebung mit den Pflaumenbäumen und Weinstöcken auf dem riesigen Areal trug dazu bei, dass sie schon nach zwei Tagen ihren eigenen Rhythmus ablegte und in die langsame leise Welt eintauchte. Was sie durchlebte, war eine geistige Läuterung. Sie fasst es folgendermaßen zusammen: „In dieser einen Woche habe ich wirklich viel über mich herausgefunden und vieles an mir neu entdeckt. Jetzt versuche ich etwas von dieser Stille, dieser Achtsamkeit und von diesem Respekt für andere, für die Umwelt und für mich selbst, in meinen Alltag einzubringen und blicke voller Dankbarkeit und Freude auf diese eine Woche zurück.“ Dabei sind ihr die Lehren Buddhas und des Meisters Thich Nhat Hanh ein wichtiger Wegweiser.
www.plumvillage.org
http://www.grenzecho.net/ArtikelLoad.aspx?aid=61f80d9b-d5b2-4b1e-a815-7a90bf5ec16c
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HINTERGRUND
Thich Nhat Hanh
Thich Nhat Hanh ist ein vietnamesischer Mönch, Schriftsteller und Lyriker. Neben dem Dalai Lama gilt er als einer der bekanntesten buddhistischen Lehrer und Friedensstifter unserer Zeit. Er wurde 1926 in Zentralvietnam geboren und wurde bereits mit 16 Jahren zum buddhistischen Mönch. Er ist ein Vertreter des „engagierten Buddhismus“. Seine Lehre kennzeichnet sich durch eine große Offenheit den verschiedensten buddhistischen Traditionen und auch den westlichen Philosophien gegenüber. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass viele Europäer sich davon angesprochen fühlen. Ein Kernpunkt seiner Lehre ist beispielsweise die Achtsamkeit. Darunter versteht er die Fähigkeit, in jedem Moment „geistig präsent“ zu sein und im „Jetzt“ zu leben. Orthodoxen buddhistischen Kritikerkreisen geht seine Auslegung mitunter zu weit. Die Eupener Nadia Pommée lernte ihn kennen und spricht von einer unvergesslichen Begegnung mit einem „unwahrscheinlich weisen Mann.“
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